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  • AutorenbildKristin

Über das Vermissen und Loslassen

Als Mutter seine Kinder herzugeben passiert, wenn man Glück hat und soweit alles gut geht, erst, wenn diese ungefähr 18 Jahre alt sind und ihren Schulabschluss haben.

Ist man jedoch geschieden oder lebt ein Patchwork-Modell, wie 1/3 aller Familien, so ist man angehalten, immer wieder aufs Neue Abschied zu nehmen, zu vermissen - und sich auch zu freuen.


Neidisch sehen familiär stark eingebundene Mütter immer wieder hinüber und schwärmen vom Bonus des regelmäßig kinderfreien Wochenendes. Hinter vorgehaltener Hand bekommt man nahegelegt, aufzuhören zu jammern, schließlich haben sie diesen Luxus nicht und seien ja sowieso praktisch auch alleinerziehend. Dies soll keine Bevorzugung eines der beiden Modelle sein - beide haben wie alles Vorzüge und verlangen Kompromisse. Dieses Alleinsein tut gut, sicherlich. Oft weiß man nicht, wie man es ohne schaffen würde. Andererseits - was genau macht man an 1-2 freien Tagen? Richtig: Aufräumen, putzen, waschen, Unerledigtes aufarbeiten, eine Freundin treffen, Leben nachholen, endlich einmal schlafen oder gar nichts machen. Hat man 1/3 seiner to-do-Liste erfüllt, ist die Zeit bereits vorbei und der Alltag, in dem man jede noch so kleine Entscheidung und Absprache alleine treffen sowie jede Rechnung alleine bezahlen muss, beginnt von Neuem. Es ist ein Privileg, immer wieder Phasen für sich alleine zu haben und sich bei Entscheidungen nicht absprechen und Kompromisse eingehen zu müssen. Doch je nach Alter der Kinder und familiärem Lebensmodell ist man dann so beschäftigt, alles unter einen Hut zu bekommen, dass die freien Zeiten nur ein Stück auffüllen können.


Überspringen wir das wöchentliche Wechselmodell und gehen einen großen Schritt weiter, praktisch direkt zum Traum aller Mütter oder Familien: 2 Wochen Zeit für sich selbst! Die Kinder fahren mit dem Partner und dessen neuer Familie in den Urlaub. Das ist toll und schön, wirklich. Fahren sie nun zu dessen Eltern, schluckt man den faden Geschmack hinunter, genau zu wissen, wie es sich anfühlt, dort anzukommen, empfangen zu werden, Zeit zu verbringen. Hat man doch einst selbst mit dem Partner im ehemaligen Kinderzimmer geschlafen, die alten Angelsachen hervorgekramt, war im Lieblingssee gemeinsam schwimmen, hat kleine Ausflüge unternommen und abends zusammen gegrillt oder das Lieblingsrestaurant gemeinsam mit dem Schwager besucht. All diese Assoziationen lässt man also ziehen, wünscht seinen Kindern, dem geschiedenen Partner und dessen neuer Frau freundlich einen schönen Urlaub und tolle Erlebnisse. Ist stolz auf sich, dass man das irgendwann nach zehn Jahren nun hinbekommt. Man verabschiedet alle mit gepackten Koffern, winkt, schließt die Tür - und nun wird aus dem Ziepen doch ein lauteres Magengrummeln.

Fährt er auch angemessen genug, achtet darauf, dass sie gut ankommen, genug essen, nicht zu lange am Handy sind… eine endlose Liste kann folgen.


Nach dem Schließen der Tür hört man plötzlich: Nichts. Stille. Weite. Leere. Das Rauschen in den eigenen Ohren. Nun beginnt man sich zu fragen, was man mit diesen zwei endlos verdammten folgenden Wochen alleine mit sich nun eigentlich anfangen möchte. Endlich hat man Zeit, in Ruhe zu putzen, liegen Gebliebenes abzuarbeiten - endlose Zeit, Fortbildungen, Telefonate, Treffen, Netflix.. - und plötzlich keine Lust mehr.


Es ist nun die Zeit der kleinen fiesen grünen Monster eingetreten, die im Inneren herumwühlen und stören. Krach machen. Und auch ganz leise sind. Die plötzlich zu grau wie das Wetter und der gesamte Tag, die Ferien - das ganze Leben - wechseln. Schleichend kriecht die Angst aus der Magengegend nach oben, Richtung Luftröhre, verengt das Atmen, zwingt zur bedächtigen Bauch-Ausatmung. Versucht Ordnung in das innere Chaos zu bringen, die Panik zu bändigen, die sich einstellt als Zurückgelassene. „Selbst schuld“, flüstern die grünen Monster nun immer lauter, „Wieso musstest du dich auch unbedingt trennen? Wieso kannst du nicht zufrieden sein mit dem, was du hast und dem, was ist? Wieso willst du immer etwas anderes? Wieso suchst du dir nicht endlich einen neuen Freund? Selbst Schuld, wenn mit dir etwas nicht stimmt. Alle anderen sind glücklich. Sieh endlich zu, dass du dein Leben auf die Reihe kriegst.“

Wer kennt es, diese Angst und diese Selbstsabotage? Wer kennt sie nicht?


Was hilft? Ausatmen, die Panik besänftigen. Der Angst danken, dass sie sich sorgt. Sich selbst beruhigen. Sich daran erinnern, dies schon so viele Male geschafft zu haben und daher auch diesmal auszuhalten. Sich über die neuen Eindrücke und den Erfahrungsschatz der Kinder freuen. Sich auf seine eigene freie Zeit zu freuen. Sich selbst etwas Gutes tun. Sich neben den zu erledigenden Aufgaben mindestens ein Herzens-Projekt vornehmen. Sich dafür entscheiden zu können. Sich auf den anschließenden gemeinsamen Urlaub freuen. Und währenddessen wieder einmal erstaunt festzustellen, wie schnell die Zeit wieder vergangen ist und wieviel länger sie eigentlich noch gut getan hätte. Zwei Wochen sind erträglich. Fünf Wochen sind eine lange Zeit. Nicht mehr lange, dann wird daraus das ganze andere Leben. Zeit, sich auf sich zu besinnen, mit den eigenen Dämonen klarzukommen und sich etwas zu suchen, was einen erfüllt. - Und beim Ablauf der Zeit erstaunt festzustellen, wie schnell diese vergangen ist und was man gerne noch alles in Ruhe hätte machen wollen.. bis man sich dann wieder an den Rhythmus der Familie gewöhnen darf..


Kinder aufzuziehen heißt loslassen lernen. Sein Herz außerhalb seiner selbst Erfahrungen machen lassen, die man nur zu einem Bruchteil mitgeteilt bekommt. Dieses Loslassen passiert in getrennten Familien schneller und immer wieder neu. Es ist ein Balanceakt, zwischen zwei Welten zu pendeln. Man darf sich glücklich schätzen, in beiden Welten leben zu dürfen. Man darf auch anerkennen, dass dies Kraft und Mut erfordert. Jeden Tag wieder neu. Man darf stolz auf sich und seine gesamte Familie sein, es irgendwie hinzubekommen, dieses Leben - wie alle anderen, egal, in welchem Modell.






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